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Die Texte dieser Seiten sind vor 13
Jahren, noch vor der Jahrtausendwende, als Reaktion auf eine
Presseerklärung des Vereins Deutsche Sprache entstanden, der sich damals
noch "Verein zur Wahrung der deutschen Sprache" nannte. Dieser wollte
verhindern, daß englische Computer-Vokabeln wie "upgrade" oder
"downloaden" durch die Aufnahme in Wörterbücher auch offiziell zum Teil
der deutschen Sprache werden. Als die Meldung auf der Internetseite des
Heise-Verlags stand (www.heise.de),
habe ich einen Kommentar dazu geschrieben und der Redaktion geschickt.
Der Chefredakteur lud mich daraufhin ein, einen Artikel für die
Zeitschrift c't zu schreiben, der meine Thesen ausführlicher behandeln
sollte. (Riesenbiß
ins Mutterbrett. Zum Streit um `Denglisch´ im Computer-Jargon)
Der c't-Artikel ist zugegebenermaßen
eine Polemik geworden und sollte das auch sein, er sollte provozieren.
Zahlreiche Leserreaktionen bestätigten das und brachten mir, neben
meiner Arbeit als Software-Entwicklerin, einen Haufen Schreibarbeit.
Was vielleicht bei aller Polemik und
Überspitzung etwas untergegangen ist: Es geht bei diesem Thema weniger
um Anglizismen, sondern, bezogen auf den Bereich der
Informationstechnik, um fachsprachliche Wörter bzw. "Termini". Eine
fachsprachliche oder wissenschaftliche Terminologie besteht aus einem
Netzwerk von Wörtern, die den Rang von Begriffen haben, d.h. die,
alltagssprachlich gesprochen, einen fest umrissenen Inhalt aufweisen,
entsprechend dem Fachbereich oder der Wissenschaft, der sie angehören.
Wenn mir jemand mit Termini aus der
Welt des Autos kommt, etwa bei der Inspektion, muß ich ihn bremsen, weil
ich nur "Bahnhof verstehe". Ich habe mich nie in meinem Leben intensiv
mit Fahrzeugtechnik beschäftigt und denke auch nicht daran, das
nachzuholen. Trotzdem muß ich dem Mechaniker zugestehen, daß er zunächst
in seiner Ausdrucksweise spricht. Ich kann mich nicht auf die Position
zurückziehen: Der will mich diskriminieren, denn ich möchte ja, daß der
Mann meinen Wagen prüft und gegebenenfalls eine Reparatur vornimmt. Ob
seine Begriffe aus der deutschen, der lateinischen, der englischen oder
chinesischen Sprache entlehnt sind, spielt dabei keine Rolle. Auch der
dem Deutschen entstammende Ausdruck "Steuerungskette" bedarf für den
Laien einer Erläuterung, und als mir ein Mechaniker ihn das erste Mal an
den Kopf warf, sah ich ihn vermutlich wie das sprichwörtliche Auto an.
Die Verwendung von Anglizismen in der
Informationstechnologie ist historisch entstanden, da trotz Zuse Firmen
aus den USA die Hard- und Software für die damalige Großrechnerwelt
geliefert haben. Noch Anfang der 90er Jahre war es für Informatiker
unumgänglich, die technischen Anweisungen für die Geräte und die
Programme in englischsprachigen Handbüchern zu lesen. Ebenso wurden
Programmierhandbücher von den Lieferfirmen natürlich auf Englisch
verfaßt.
Die englischsprachigen Begriffe kann
man ins Deutsche übersetzen, was in etlichen Fällen auch gelungen ist.
Ein Beispiel ist die Übertragung von Begriffen der Unified Modeling
Language (UML) ins Deutsche. Die Autoren der entsprechenden Wörterliste
weisen allerdings in ihrem
Vorwort auf die Problematik dieser Aktion hin, zumal die
UML-Werkzeuge in der Regel auf Englisch geliefert werden, sofern sie
nicht eine deutsche Oberfläche erhalten haben.
Mit diesen Begriffen verständigen sich
IT-Experten. Sobald einzelne Begriffe in die Alltagssprache einsickern,
können sie leicht Teil von Herrschaftssprache werden. Seit 1999 hat sich
der Einsatz englischsprachiger Begriffe in der Werbung für Computer
teils drastisch geändert. Er ist komplizierter geworden. Grund ist, daß
neben dem traditionellen Personal Computer (PC) mittlerweise ganz neue
Endgeräteklassen auf den Markt gelangt sind - wie: Notebook, Netbook,
Tablet-PC, Smartphone. All diese Geräte weisen eine Leistung auf, die
jedem Rechner von 1999 haushoch überlegen ist. Daher ist die Übersetzung
von "Netbook" mit "Leichtrechner, Kompaktrechner", die der
Verein Deutsche
Sprache vorschlägt, schwer von "Klapprechner, Mobilrechner" =
"Notebook" abzugrenzen. Lächerlich hingegen: "tablet-PC" =
"Tafelrechner". Meinereiner denkt dann gleich an die Grundschule in den
50er Jahren mit der großen Holzrechenmaschine, dem
Abakus.
Interessanterweise schweigt sich der
Verein zu den Auswirkungen der Rechtschreibreformen seit 1996 völlig aus
bzw. scheint diese zu akzeptieren. Das zeigt mir, daß es ihm weniger um
"gutes Deutsch" geht, sondern wohl doch eher um eine Variante der
Re-Nationalisierung, die seit Beginn der Finanzkrise auch auf der
politischen Ebene zu beobachten ist.
Wie der Verein Deutsche Sprache mit
Medienmeldungen umgeht, läßt sich schön an der Befragung von
Studienanfängern an den Philosophischen Fakultäten ablesen, die Gerhard
Wolf, Ordinarius an der Universität Bayreuth und Vorsitzender des
Philosophischen Fakultätentages veranlaßt hat. Die dort beschriebenen
Defizite der Studierenden in Deutsch
führt Wolf auf ganz unterschiedliche Ursachen zurück und faßt
zusammen: "Wir müssen erkennen, dass die Sprachbeherrschung zugunsten
von Medienbeherrschung und Techniken der Selbstdarstellung
zurückgegangen ist. Deswegen sind nicht wenige Studienanfänger mit den
formalen Ansprüchen der Textorganisation überfordert. Die Schulen
vermitteln nicht mehr die wesentlichen Kulturtechniken."
Der Verein Deutsche Sprache schränkt
die Ursachen für die Defizite "in der zunehmenden Vernachlässigung der
deutschen Sprache generell" ein und sieht die "Politiker,
Wissenschaftler und Unternehmer" in der Schuld, die "die englische
Sprache hochjubeln" ("Politik
verursacht Defizit in Deutsch"). Professor Wolf beklagt hingegen,
daß Englisch offenbar "nicht richtig vermittelt" wird, denn er sieht
auch hier Schwächen. Offenbar bezieht sich der Verein Deutsche Sprache
auf eine andere Realität als die Praktiker vor Ort.
Dies wird auch durch meine eigenen
Beobachtungen bestätigt. Fachaufsätze oder Gebrauchsanweisungen auf
Englisch, die von deutschen Muttersprachlern in deutschen Firmen oder an
deutschen Institutionen verfaßt worden sind, sind
selten gut zu verstehen. In einem Sammelband mit Vorträgen über ein
Symposium zum Thema Medizin-Informatik las sich lediglich der Beitrag
zweier Engländer flüssig. Die übrigen Texte, darunter auch von Deutschen
stammende, bedurften einiger Raterei oder waren mehr oder minder
unverständlich. Die Herrschaften haben sicherlich allesamt auf Englisch
geradebrecht. Die wenigsten deutschen Muttersprachler beherrschen die
englische Syntax, geschweige die nordamerikanischen Varietäten. Und eben
dieser Mangel wirkt sich auf das Textverständnis aus.
"In
den deutschsprachigen Ländern ist die Anglisierung und Amerikanisierung
der Landessprache(n) besonders weit fortgeschritten." ("Sprachpolitische
Leitlinien") Was für ein bodenloser Unsinn dieser Satz ist, kann man
sich leicht verdeutlichen, wenn man sich einmal die sprachliche und
kulturelle Entwicklung von Völkern vergegenwärtigt, die das Pech hat,
zwischen 1492 und heute von Europäern "entdeckt" worden zu
sein. Sofern diese
Völker diese Entdeckung überhaupt überlebt haben, wurden ihnen in der
Regel die Ausübung ihrer Religion, die Benutzung ihrer Sprache und
anderer kultureller Eigenheiten verboten. Diese Verbote wurden mit
äußerst rigiden Zwangsmitteln durchgesetzt. In Kanada und den USA wurden
Kinder der Ureinwohner zuerst in katholische oder evangelische Internate
gesteckt, ab den 1960er ihren Familien geraubt und von ausgesuchten
weißen Familien adoptiert. Kinder, die es wagten, ihre eigene Sprache zu
sprechen, wurden äußerst sadistisch bestraft: Seife in den Mund, Zunge mit Nadeln durchstechen usw.
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