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Euer Wille ist uns sch...egal
(taz 19.09.1999)
Kieler Landtag kassiert Volksentscheid zur Rechtschreibung
Der Landtag war so schnell wie selten. In Kiel trafen sich die gewählten VertreterInnen
Schleswig-Holsteins vergangenen Mittwoch zur ersten Lesung. Schon am Freitag fiel dann die
Entscheidung. Warum nur hatten die Parlamentarier so eine Eile? Es war, ganz einfach, sehr
unappetittlich, was der Landtag da hinter sich zu bringen hatte: Die Volksvertreter waren
gekommen, einen Beschluß derjenigen zurückzunehmen, die ihre Auftraggeber sind. |
Reform von oben
Als Zwangsmitglied der IHK Köln (für Nichteingeweihte:
Industrie- und Handelskammer) erhielt ich unaufgefordert die Juli-Ausgabe 1999 von
"markt+wirtschaft", normalerweise voll mit Infos für den hierzulande so
genannten Mittelstand. Die IHK Köln, das sei ihr zugutegehalten, hat viel dafür getan,
bei ihrer Klientel ein Bewußtsein vom Jahr-2000-Problem zu schaffen. Na ja, wer verliert
schon gern einen Teil seiner zahlenden Mitgliedschaft.
Wie es sich für eine gute deutsche Zeitschrift gehört,
hat auch "markt+wirtschaft" ein "EDITORIAL", deren Überschrift
"Tipps mit Potenzial" lautet. Was zunächst aussieht wie eine Vermischung von
Sekretärinnen- ("Tippex") und Versicherungsdeutsch, entpuppt sich als Aufmacher
zur Ankündigung, eine tiefe Verbeugung vor der "Amtlichen Regelung der deutschen
Rechtschreibung" zu machen. Kaiser Wilhelm würde sich freuen, daß nach 100 Jahren
immer noch gilt: Der Gehorsam muß vom Untertanen immer neu eingefordert werden. Gewandelt
hat sich die Form: Die Treueerklärung wird als Unterwerfung unter eine "amtliche
Regelung" abverlangt, die allen Untertanen auferlegt, die Schriftform ihrer
Muttersprache so und nicht anders zu verwenden. Weil die Untertanen heutzutage nicht alles
glauben, was ihnen erzählt wird, erklärt man das neue Amtsdeutsch kurzerhand als
"wissenschaftlich" begründet, in der leider berechtigten Hoffnung, daß 99% der
Betroffenen kein etymologisches Wörterbuch und keine linguistischen Handbücher in ihrem
Regal stehen haben, um nachprüfen zu können, was ihnen da schwarzgemacht wird.
Etymologisches Verdummungsritual Zu den Kernbereichen der Reform gehört die Ausweitung der
"etymologischen Schreibweise". Die Verwandtschaft von Wörtern soll demnach
daran zu erkennen sein, ob sie eine gemeinsame "Stammwurzel" haben.
Zum Beispiel: Während man im Mittelalter fröhlich
"hant" und "hende" schrieb, muß man heute "Hand" und
"Hände" texten. Die Wurzel des Wortes heißt "hand", also wird aus
"hant" die "Hand" (wobei dann erklärt werden muß, warum der
stimmhafte Dental "d" stimmlos ("t") ausgesprochen wird, genauso wie
die Mittelhochdeutschen es geschrieben haben); um im Plural das "a"
bereitzuhalten, erfindet man einen neuen Umlaut "ä", nach dem Motto: Man sieht
dem "ä" an, daß es von "a" kommt. Das offene "e" von
"Hände" hat lautlich zwar nichts mit dem "a" zu tun, aber was soll's!
Für die Dummen wird dann der leicht erlernbare Satz an die Tafel geschrieben:
"Hände" schreibt man mit "ä", weil es von "Hand" kommt.
Nicht immer klappt das, etwa bei den starken Verben:
"nehmen, nahm, genommen". Gegen das geschlossene "e" ist halt kein
Kraut gewachsen, obwohl ein großer Teil der deutschen Muttersprachler unfähig ist, es
korrekt auszusprechen: entweder zu offen oder als abgetöntes "i". Und
"nähmen" ist ja im übrigen schon als Konjunktiv II belegt.
Also dürfen deutsche Lehrer neue Formen der
Bildungskatastrophe abliefern, indem sie den Kindern erzählen, daß
"belämmern" schließlich von "Lamm" kommt. Und den Rotstift
schwingen, anstatt sich mit der wirklichen Welt auseinanderzusetzen, in die ihre Schüler
hineinwachsen müssen - während sie u.U. schon einen Platz auf dem grün-alternativen
Friedhof gebucht haben.
Beispiele des Unsinns:
Neu |
Alt |
Etymologie |
rau |
rauh |
Westgermanisch
(vgl. engl. rough), ursprünglich zwei Formen: rauch - rauh (wie
in hoch - hoh[e]), noch in Rauchware - Rauhhaardackel.
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nummerieren |
numerieren |
Lateinisch
numerare. Nummer stammt von italienisch numero. |
belämmert |
belemmert |
Niederdeutsch,
aus Niederländisch belemmeren (zu lahm). |
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Bußgeld für Sprachverstöße?
Um den Mittelständischen die Umstellung auf die neue
Rechtschreibung schmackhaft zu machen, wird diese kurzerhand in einen Zusammenhang mit
Fortschrittlichkeit gestellt: "Wir alle kommen um die neuen Schreibweisen nicht
herum. Sie werden uns jetzt täglich begegnen und viele Unternehmen, die als besonders
progressiv gelten wollen, haben sich längst darauf eingestellt."
Tatsächlich handelt es sich nach
"markt&wirtschaft" (Seite 27) aber nicht um ein Imageproblem: "Ab dem
1. August 2005 muss jeder die sieben Jahre zuvor eingeführten Rechtschreibe-Regeln
verwenden." Was noch fehlt, ist ein Bußgeldkatalog:
- 5,00 Euro: Verstoß gegen die neue etymologische
Schreibweise (z.B.: Der Deliquent hat "belemmern" statt "belämmern"
verwendet).
- 7,50 Euro: Verstoß gegen die neue Regelung
"ss"/"ß" (z.B.: Der Deliquent hat "daß" statt
"dass" verwendet).
Reform gegen den Strom
Die neue Rechtschreibung ist indes nur in Schulen und
Behörden vorgeschrieben. In allen anderen gesellschaftlichen Bereichen ist ihre
Übernahme freiwillig. Wenn Printmedien sie übernehmen, so geschieht das nicht nach
Weisung. Daß sie sie übernehmen, ist ein Akt freiwilliger Unterwerfung. Über die
Motive, nicht die veröffentlichten Gründe, kann man nur spekulieren. Im privaten Bereich
ist niemand gezwungen, von einem Tag auf den anderen "dass" statt
"daß" zu schreiben. Da kann man auch "das" nehmen, auch wenn man
keinen Relativ-, sondern einen Objekt- oder Subjektsatz einleitet. Wenn Vorgesetzte den
Kotau einfordern, dann kann man immer noch ein Konvertierungsprogramm über den nach alter
Schreibung verfaßten Text laufenlassen - und sich innerlich von ihm distanzieren: 'Es ist
eh' kein eigener Text.'
Die Rechtschreibreform wurde weitgehend unter Ausschluß
der Öffentlichkeit eingeführt (zur Historie von Rechtschreibung und
Reform siehe
Schriftdeutsch.de). Als
anläßlich der Frankfurter Buchmesse 1996 Schriftsteller, Wissenschaftler, darunter auch
Linguisten, Lehrer und Prominente gegen die Reform protestieren, hagelt es
Intellektuellenschelte (formal in der "Dresdner
Erklärung der Kultusministerkonferenz", 25.10.1996). Aus der Newsgroup de.etc.sprache.deutsch:
- Nachklapp einiger beleidigter Leberwürste
- Wenn "prominente Schriftsteller" ein solch
unausgegorenes Statement abgeben schadet dies natuerlich "dem Ansehen der deutschen
Sprache im In- und Ausland.
- Erhebt sich nicht auch die Frage, warum die Herren Autoren
mit ihrem Auftritt ausgerechnet bis zur Buchmesse gewartet haben? Publicity-Gag oder
echtes Anliegen?
Ein Betroffener zur Reform:
- "Die Orthographie war in Deutschland seit dem
Wilhelminismus ein reiner Amtsfetisch. Die Regierungen sollten die Finger von Dingen
lassen, von denen sie nichts verstehen und für die sie nicht kompetent sind. Die
sogenannten Regelwerke sind Ersatzhandlungen, mit denen die kulturpolitische Impotenz
kaschiert werden soll."
Hans Magnus Enzensberger, in: Der Spiegel, 42/1996
Books on demand: Der Weg zum Buch ohne
Rechtschreibreform
Über kurz oder lang werden die Verlage Bücher nach der
neuen Schreibung herausgeben. Wer sein Werk unverstümmelt an die Leser bringen möchte,
kann dies neuerdings auf alternativem Wege: Books
on demand! Kein übereifriger Lektor legt dort Hand an; die Texte gelangen so
unzensiert an die Öffentlichkeit bzw. in den Online-Katalog von libri.de. Verbreitet wird das Buch über das
Internet, ein Medium, das ohnehin die Reform unterläuft. Wo jeder so schreibt, wie ihm
der Schnabel gewachsen ist.
The German way: Barockdeutsch
Eine Anmerkung zum Schluß: Die Begründung, durch die
neue Rechtschreibung könnten die Kinder leichter schreiben lernen, ist unsinnig.
Ungereimtheiten gibt es nach wie vor, nur verschoben; die Großschreibung ist sogar
ausgeweitet (Germanisten des 19. Jahrhunderts, wie die Grimms, wollten sie schon
abschaffen, haben sich aber nicht durchsetzen können). Die Konsonantenverdopplung als
Mittel, die Länge oder Kürze vorangehender Vokale anzuzeigen, wurde ebenfalls
ausgeweitet; in keiner anderen Schriftsprache gibt es das - in der Regel wird die Länge
unmittelbar am Vokal angezeigt (im Finnischen werden lange Vokale verdoppelt).
Doppelkonsonanten werden verwendet, um die Länge eines Konsonanten zu beschreiben
(italienisch Spaghetti: "tt" weist auf eine verzögerte
Verschlußsprengung hin). Dafür gibt es im Deutschen keine Schreibung des anlautenden
glottalen Verschlußlauts vor Vokalen ('aber).
Auch das Argument, eine vereinfachte Rechtschreibung
würde die Sprache attraktiver für ausländische Sprachlerner machen, stimmt nicht. Die
meisten Menschen der Welt lernen Englisch mit seiner weitaus komplizierteren
Rechtschreibung. Entscheidend für die Motivation, die Sprache zu lernen, ist nicht
Einfachheit (da stöhnen Ausländer vor allem bei der deutschen Grammatik, aber nie bei
der Rechtschreibung!!), sondern welchen Gewinn sie damit haben. |