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Phonologie:
Zum Verhältnis von Phonetik, Phonematik und Graphetik ... ließe sich
zunächst sagen, daß es in keiner Sprache möglich ist, so zu schreiben, wie man (aus-)
spricht, bzw. ein 1 : 1 Verhältnis von Graphem und (Morpho-) Phonem zu erreichen,
allerdings gibt es durchaus gelungene Annäherungen, denke man etwa an das Finnische. Was
das Deutsche angeht, so hätte man eher zu konstatieren, daß sich sowohl alte wie
reformierte Orthographie gleichermaßen weit von einem solchen Ideal entfernt halten.
Aine solxe konsekventere reform hete baipîlsvaise etvâ sô auscusên,
kompromise mus man ya imer maxen, und der rest ist ê imer aine frâge der gevônhait.
In diesen Bereich gehören auch Polygraphe, etwa wird sch als []
realisiert, nicht als **[stsh], wobei man allerdings noch historische Gründe anführen
kann, da in deutschen Etyma dieses // via *sx (wie noch in der niederländischen
Aussprache von sch) aus *sk entstanden ist (z.B. fisk "Fisch",
vgl. lat. pisc-is). Unter sprachplanerischem Gesichtspunkt wären Polygraphen,
wie übrigens auch Diakritika (wie das Trema in ä, ö, ü), als suboptimale Gestalten
nach Möglichkeit zu meiden.
Eine schiere Inkonsistenz hingegen ist der Aufstieg einer Ligatur zweier Varianten des
Graphems s (ähnlich gr. s und V),
also nicht etwa wie oft fälschlicherweise behauptet "sz", zu einem
eigenständigen Buchstaben ß (der doch nicht ganz so eigenständigerweise einem
gr. b ähnelt),
der zugleich noch in Opposition zu digraphischen ss verwandt wird, während æ
und seit dem Mittelhochdeutschen außer Mode gekommen sind.
Die wohl groteskeste Inkonsistenz ist die Verwendung graphischer Doppelkonsonanzen,
während phonologische wie phonetische Geminaten (wie etwa im Finnischen, Ungarischen,
Italienischen oder Arabischen) dem Deutschen fremd sind. Teilweise werden diese zur
Bezeichnung vorangehender kurzer Vokale verwandt (anstatt konsequent1 die Vokallängen zu markieren), allerdings dies auch nicht
konsequent: RSR Tipp vs. mit (statt **mitt).
Viel grundlegender wäre allerdings hinterfragungswürdig, mit welchem Normbegriff hier
gearbeitet wird. Es gehört zu den Elementen der Sprachwissenschaft auch wenn an
der RSR beteiligte Germanisten dies entweder nie zur Kenntnis genommen haben oder
mutwillig sich darüber hinwegsetzen daß sie sich als deskriptive Wissenschaft
begreift, nicht als präskriptiv, womit sie auch jeden wissenschaftlichen Anspruch
einbüßte. In diesem Sinne muß eine Norm nicht realisiert sein, aber als solche
anerkannt, etwa wenn einE SprecherIn sagt, so solle man sprechen, auch wenn sie/er es nicht
tut. Ein Ausspracheideal, das für einen Germanisten eines ist, nicht jedoch für einen
Laien, kann nicht als Norm gelten. Allerdings teilt die Bühnenaussprache dieses
Schicksal mit so mancher politischen Idee, und auch auch hier gilt bekanntlich, wenn sich
eineR eh' nicht dafür begeistern kann, dann kann man's ihr/m auch nicht aufherrschen...
Interpunktion
Unter Interpunktion im weiteren und zugleich historischen Sinne fassen wir hier nicht
nur Zeichensetzung, sondern auch Zusammen- vs. Getrenntschreibung auf, denn die ersten
Interpunktionszeichen waren tatsächlich Worttrenner. Es besteht hier auch ein enger
innerer Zusammenhang, da beide typ(olog)ischerweise die Domäne von Pragmatisierungen
sind, z.T. daher überhaupt nicht sinnvoll zu regeln sind, genauso wie es nicht einmal
sinnvoll ist, sie überhaupt regeln zu wollen. Dem angeblichen Ideal des
Schreibens, wie man spricht käme, sicherlich näher, etwa Komma, Semikolon und Punkt, sowie
Ausrufe- und Fragezeichen als Äquivalent zu verschiedenlangen Pausen und
Intonationsverläufen zu sehen.
Noch ärger ist der Fall bei Referentialität, wo deutsche Grammatikschreiber selbst
Fälle eines vermeintlich so exotischen Phänomens wie Nominalinkorporation geflissentlich
zu ignorieren pflegen:
"Was machst'n gerade?"
- "Spaghettiessen."
- "Spaghetti essen." (i.Ggs. zu Spaghetti kochen oder Makkaroni essen)
Das gleiche gilt für die bekannteren Fälle, wo es zu Lexikalisierungen gekommen ist:
"Zeichen setzen" (Gruppenphantasmata ostendieren) vs. "zeichensetzen"
(interpunktieren).
Ausdrucks- und Interaktionsformen
Einer Auffassung von Schriftsprachlichkeit als Kulturtechnik widerspricht, daß
Orthographien, die ja von Autoren gewählte expressive Mittel sind, im deutschen
Kulturraum mit wenig Respekt behandelt werden. Es gehört etwa im Englischen zur
Lektürefähigkeit, Shakespeare lesen zu können, während die Luthersche
Bibelübersetzung, die als Anfang des Neuhochdeutschen gilt, mitnichten im Original
gelesen wird. Sie wird in der Regel für den zeitgenössischen Leser großzügig
verändert, d.h. "modernisiert", was
dennoch als "authentischer Text" bezeichnet wird. Eine Interaktion, die vorschreibt, wer was mit
welchen Mitteln auszudrücken hat, verdient schwerlich als solche bezeichnet zu werden.
Angesichts eines solchen Umgangs mit Texten erscheint es als bestenfalls zweitrangig,
welche Orthographien für den profanen Alltagsgebrauch (realistischerweise: ohnehin nur)
approximativ beherrscht werden sollten, mit welcher Berechtigung RSR-Befürworter und
-gegner sich gegenseitig faschistoider Tendenzen beschuldigen, geschweige denn in (noch
-?) nicht kanonisierten Orthographien wie dem modo anglico durch Apostrophierung vom
zusammengeschriebenen Plural-s unterschiedenen Genitiv-s die Götterdämmerung des ohnehin
kaum mehr christlichen Abendlandes anbrechen zu sehen.
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Links:
http://uploader.wuerzburg.de/rechtschreibreform/
(neben IDS Mannheim das cyberische Zentralorgan der RSR-Befürworter)
www.rechtschreibung.com
Schriftdeutsch
- Zur Rechtschreibung und Rechtschreibreform
Stefan Stirnemann: Die Reform der deutschen Rechtschreibung und die
deutsche orthographische Lexikographie. Betrachtung zum falschen
Indikativ - In:
Schrift & Rede.
Hrsg. v. d. Forschungsgruppe Deutsche Sprache. 04.04.2011.
Theodor Ickler:
Mein
Rechtschreibtagebuch.
Es lohnt sich immer, einen Blick über den Tellerrand zu riskieren und
zum Beispiel auf die englische Sprache zu werfen:
Evolving English: One Language, Many Voices. A major exhibition and
schools' programme at the British Library. Besprechung
hier.
Literatur:
Birken-Bertsch, Hanno & Reinhard Markner
(2000): Rechtschreibreform und Nationalsozialismus. Göttingen: Wallstein
Drosdrowski, Günther & al. (21. völlig neu bearb.
u. erw. Aufl. 1996): Duden: Rechtschreibung der deutschen Sprache. Auf der Grundlage
der neuen amtlichen Rechtschreibregeln. Mannheim / Leipzig / Wien / Zürich:
Dudenverlag [enthält Die amtliche Regelung der deutschen Rechtschreibung, Teil I:
Regeln als Appendix, pp. 861-910]
Eroms, Hans-Werner & Horst H. Munske (1997): Die
Rechtschreibreform: Pro und Kontra. Bielefeld: E. Schmidt
Ickler, Theodor (1997): Die sogenannte
Rechtschreibreform: Ein Schildbürgerstreich. St. Goar: Leibniz
---- (2000): Das Rechtschreibwörterbuch: Sinnvoll
schreiben, trennen, Zeichen setzen: Die bewährte deutsche Rechtschreibung in neuer
Darstellung. St. Goar: Leibniz
Krieger, Hans (2000): Der Rechtschreibschwindel:
Zwischenrufe zu einem absurden Reformtheater. Buschhoven: Otto Reichl
Luther, Martin (1545): Biblia Germanica. Ausgabe
letzter Hand. Facsimile. Stuttgart: Deutsche
Bibelgesellschaft
Reiner Kunze u.a.: Deutsch. Eine
Sprache wird beschädigt. Herausgegeben von der Bayerischen Akademie der
Schönen Künste in Zusammenarbeit mit der Forschungsgruppe Deutsche
Sprache.
Hierzu eine Besprechung. Bei Amazon
erhältlich.
Bibliographien:
Schrift & Rede der Forschungsgruppe Deutsche Sprache
Schriftdeutsch.de
Anm.:
1 Das Bestiarum des
Deutschen umfaßt hier Diagraphen mit h, e (Soest, Itzehoe),
rheinisch auch i (Troisdorf, Moitzfeld, Grevenbroich, Voigt),
auch in Übermarkierungen (Vieh, ziehen), sowie Doppelschreibungen (Boot,
Zoo, Meer).
Im Mittelhochdeutschen wurde meist defektiv notiert, erst
Lachmann (1822) generalisierte eine Pleneschreibung mit Zirkumflex (â, ê, î, ô, û
heute stattdessen auch Makron) angeregt durch Notker, der nach nordgermanischem und
angelsächsischen Vorbild betonte Kurzvokale mit Akut und betonte Langvokale mit
Zirkumflex unterschieden hatte.
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