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"Orthography is a
very delicate matter to deal with, it has to do not directly with sounds but with the
mental representation of words (lexical and functional elements and their relations): this
is not just a generative point of view (Chomsky and Halle 1968, p.49), linguists and
grammarians of the XVII-XIXc, undertaking the description of dialects without an official
orthography (spelling) realized that it is impossible to have a natural spelling that
directly reflects the sound of a language; there has to be a discrepancy between sounds
and signs, as a consequence of morphological alternations and related phonological rules.
Orthography, with its apparent inconsistency, has the task to express morphological
relations between lexical elements and maintain recognizable the lexical basis of all
'lexical families'. Spelling reforms affect a very subtle (and not always evident) net
through which the linguistic elements of a language are held together." Paola Beninca', Dipartimento di Linguistica, Padova (Italia), in linguistlist |
Mündlichkeit und Schriftlichkeit in der Sprache
Produktion wie auch Rezeption oraler und
schriftlicher Texte sind zwei sehr unterschiedliche sprachliche Prozesse, die sich durch
Unmittelbarkeit der Einbindung in einen außersprachlichen Kontext vs. selbstreflexive
Kreation respektive Rekonstruktion eines eigenen Kontextes
(Scollon, Ronald & Suzanne B.K. (˛1983): Narrative, Literacy, and
Face in Interethnic Communication. (Advances in Discourse Processes, 7)
Norwood, NJ: Ablex), Geschwindigkeit und Art der Verarbeitung (linear-sequentiell oder
eben nicht) unterscheiden. Muttersprachlern erscheinen daher Texte, wie sie sie zunächst
schreiben lernen, als von der eigentlichen Lebenswelt abgehoben; soziale Verankerung der
Texte sind bestimmte schulische Vorgänge, ihre Zielsetzung hat mit eigenen Bedürfnissen
nichts zu tun, außer dem einen, beim Lehrer einen positiven Eindruck zu hinterlassen und
eine gute Note zu erhalten. Erst später folgen private Texte (Postkarten-, Brief-,
vielleicht Tagebuchtexte). Das heißt, daß die Fähigkeit zu schreiben, in einem den
Kinder und Jugendlichen letztlich äußerlichen funktionalen Zusammenhang gelernt wird.
Die meisten Menschen schaffen es folglich später auch
nur, offizielle Briefe zu schreiben wie Bewerbungen, Behördenbriefe usw., und selbst das
nur mit Schwierigkeiten; das private Schreiben wird im Zeitalter der Telekommunikation
gern nicht wahrgenommen. Lediglich der Zwang, sich beruflich zu qualifizieren, bringt
viele dazu, über das Minimum an Schreibpraxis hinaus gewisse Formulierungsfähigkeiten zu
entwickeln. Facharbeiten, der Umgang mit wissenschaftlicher Literatur, Abschlußarbeiten,
später Sachtexte zu allen möglichen Zwecken verlangen ein großes Maß an Anpassung an
entwickeltere Stilarten und Textsorten.
Laut-Schrift-Relation
Die Rechtschreibreform wurde u.a. mit der Begründung
vorgestellt, die Laut-Schrift-Relation besser gestaltet zu haben. Diese Relation ist nach
obigem tatsächlich eine Fiktion. Die meisten Menschen lernen ihre Sprache innerhalb ihres
Dialektgebiets; selbst diejenigen, die eine an das Standarddeutsche angenäherte Sprache
verwenden ("regionale Standardsprache"), sind nicht frei von ihrem jeweiligen
dialektalen Umfeld: ihre Sprache ist "eingefärbt". Die korrekte Aussprache von
Wörtern wird indessen mit Hilfe der erworbenen schriftsprachlichen Kenntnisse umgesetzt.
Damit besteht eine gerichtete Beziehung von der Text- zur Lautgestalt eines Wortes, aber
nicht umgekehrt, wie in Rechtschreibwörterbüchern immer behauptet wird.
Standarddeutsch ist die Umsetzung einer bestimmten
schriftlichen Norm in die Aussprache nach definierten Regeln: Das Zeichen x wird in der
Umgebung a so gesprochen, in der Umgebung b anders; Beispiel: die sehr stark differierende
Aussprache des Zeichens "r", das Konsonanten ("rot",
"Brot"), einem Diphthongteil ("der"), einem Längungszeichen
("Bart") oder einem Vokal ("Ufer") entsprechen kann.
Im Deutschen existieren nicht nur die drei
bekannten Diphthonge ([aI] = "ei/ai/ay/ey", [OY] = "eu/äu", [aU] =
"au"), sondern noch weitere durch auslautendes "-r[- | Konsonant]". In
den "offiziellen" Regelwerken wird diese Laut-Schrift-Relation nicht angemessen
wiedergegeben. Hier die Beschreibung auf der SAMPA-Homepage: The vowel realisation of <r>, represented as 6 ,
fuses with schwa (The unstressed "schwa" vowel is:
@ | bitte | "bIt@), but it also follows stressed vowels, resulting in additional
centring diphthongs:
Symbol |
Word |
Transcription
|
Diphthong |
6 |
besser |
"bEs6 |
|
i:6 |
Tier |
ti:6 |
i:6 |
I6 |
Wirt |
vI6t |
I6 |
y:6 |
Tür |
ty:6 |
y:6 |
Y6 |
Türke |
"tY6k@ |
Y6 |
e:6 |
schwer |
Sve:6 |
e:6 |
E6 |
Berg |
bE6k |
E6 |
E:6 |
Bär |
bE:6 |
E:6 |
2:6 |
Föhr |
f2:6 |
2:6 |
96 |
Wörter |
"v96t6 |
96 |
a:6 |
Haar |
ha:6 |
a:6 |
a6 |
hart |
ha6t |
a6 |
u:6 |
Kur |
ku:6 |
u:6 |
U6 |
kurz |
kU6ts |
U6 |
o:6 |
Ohr |
o:6 |
o:6 |
O6 |
dort |
dO6t |
O6 |
Zur Lautschrift und diesem Passus, der hier um die
Diphthongspalte erweitert ist, siehe SAMPA for German.
Deutsche Fassung SAMPA-D-VMlex. Die Tabelle mit IPA-Font (Internationale Lautschrift) als
PDF-Datei. |
Langer vs. kurzer Vokal
Eine Regel wie "das stimmlose [s] nach
kurzem
Vokal wird nicht mehr 'ß', sondern 'ss' geschrieben, nach langem Vokal 'ß'" ist für jene Sprecher, deren
Vokallängen von der Standardaussprache abweichen, eine permanente Fehlerquelle.
Da hilft auch nicht der wohlfeile Ratschlag, doch bitteschön gut
zuzuhören. Jeder Sprachpädagoge kennt das Problem, daß der Lerner nur
das hört, was er kennt.
Schriftsprachliche Regeln sollten so beschaffen sein, daß sie von unterschiedlichen
Dialektsprechern nicht unterschiedlich ausgelegt werden können. Sinnvoller wäre es
gewesen, sie an der Schriftsprache selber zu orientieren. Eine wirkliche Reform wäre
allerdings gewesen, die Doppelschreibung des "s" generell einzuführen oder ganz
abzuschaffen. Ein Satz wie "Ich las das Gepäck abholen" irritiert jedoch, weil
"las" zugleich das Präteritum von "lesen" ist. Andererseits wird von
vielen Schreibern gern "das" genommen, wo "daß" bzw. reformdeutsch
"dass" stehen muß. Im Deutschen gibt es im übrigen keine durchgängige
Konsonantenverdopplung nach kurzem Vokal: "Bus" schreibt man immer noch
"Bus", vielleicht weil es ein englisches Wort ist. Dagegen variiert die
Aussprache von "grob": manche sprechen den Vokal lang, andere kurz.
Schriftbild und Assoziationen
Während Leser und Schreiber sich an das
"ss" in "Hass" oder "muss" gewöhnen kann, zumal es im
Internet üblich ist, generell "ss" zu schreiben, also auch in
"Gruss", "Busse" (hier entscheidet nur der Kontext, ob Plural
"Bus" oder die religiöse Übung gemeint ist), bieten andere reformdeutsche
Neuerungen reichlich Irritationen.
Bisherige
Schreibung
(< Herkunft) |
Reformdeutsche
Schreibung
(< Herkunft) |
Kommentar |
plazieren (< frz.
placer) |
platzieren (<
Platz) |
Warum nicht auch
"spatzieren"
(< Spatz)? Wenn man aus einem Fremdwort eine Lehnübersetzung machen will, sollte dies
konsequent geschehen, anstatt eine neue Spreizung des Ausdrucks vorzunehmen. |
selbständig
(<'selb' + ständig) |
selbstständig
('selbst' + ständig) |
Beide Formen sind
sprachgeschichtlich legitim, wobei die Form "selbständig" letztlich die -
bisherige - Aussprache des Wortes wiedergibt. Falls sich das Doppel-"st"
durchsetzt, wird es möglicherweise zum Zungenbrecherwort mutieren. |
Aus den FAQ der Newsgroup de.etc.sprache.deutsch: »selbst«, von mhd. »selb(e)s« mit
unorganischem »t«, ist ein erstarrter Genitiv Singular, »selber« ein erstarrter
starker Nominativ Singular Maskulinum zu »selb«. »selb«, verwandt mit engl. »self«,
kommt heute fast nur noch vor in »selbig«, »der-/die-/dasselbe« sowie getrennt bei
vorangehender Präposition, die mit einem Artikel verschmolzen ist (»zur selben Zeit«
aus »zu derselben Zeit«), oder mit Demonstrativpronomen. Formen wie »selbander« (zu
zweit) und »selbdritt« (»er kam selbdritt« = »selbst als Dritter« = »mit zwei
anderen« = »sie kamen zu dritt«) usw. sind veraltet.
Vor diesem Hintergrund erscheint es nicht
ungewöhnlich, daß man sich in älterer Sprache für Zusammensetzungen zunächst der
Stammform »selb« bediente; laut Grimm überwog »selbständig« zunächst deutlich. Erst
später, nachdem »selbst« über seine ursprünglichen grammatikalischen Grenzen hinaus
zur Normalform geworden war, begann man, davon abzuweichen. Heute ist einzig »selbst«
noch produktiv und »selbständig« das einzige noch gebräuchliche »selb-«-Kompositum.
Im Grimm selbst wurde noch 1900 »selbstständig« verteidigt. |
belemmert (<
nl. belemmeren) |
belämmert (<
Lamm) |
Das Wort ist ein
Nebenkriegsschauplatz, aber kennzeichnend für die Methode: Die ursprüngliche Bedeutung
ist verblaßt, also wird einfach eine assoziative Verbindung als neue
"Stammform" ausgegeben. Die reale Wortgeschichte wird abgeschnitten und eine
neue konstruiert. |
Greuel (< mhd.
griuwel) |
Gräuel (<
Grauen) |
Hier wird der
Stamm mhd. "gruwen" > nhd "grauen" verwendet. |
greulich (<
Greuel) |
gräulich (<
Gräuel) |
"Mit Hilfe
dieser gräulich marmorierten Visitenkarten knüpfen Sie feste und unvergängliche
Kontakte!" (aus einer Werbung) Die Bedeutung der neuen Form erschließt sich nur
über den Kontext, in dem das Wort verwendet wird. |
schneuzen (<
mhd. sniuzen, verwandt mit norddt. Schnut) |
schnäuzen (<
Schnauze) |
Zwar gibt es eine
Verwandtschaft zu "Schnauze", aber die Bedeutung ist "schnauben" (=
gelösten Nasenschleim aus der Nase ausblasen). |
bleuen (< mhd.
bliuwen)
= schlagen |
bläuen (<
blau)
blau machen, blau einfärben; umgangssprachl. schlagen) |
Dazu Hermann Paul,
Deutsches Wörterbuch, Tübingen 1966: "... durch Volksetymologie an blau
angelehnt (und dann fälschlich bläuen geschrieben), mit dem es nicht verwandt
ist." Auch die Bedeutung dieses Reformdeutschwortes kann nur noch aus dem Kontext
erschlossen werden. |
Tip (< engl.
tip) |
Tipp (< tippen) |
Warum jetzt mit
"pp"? Warum nicht auch "topp", "Toppmanager"?
"Fittness"? "mitt"? |
Eltern |
Eltern |
Hier trauten sich
die Reformer nicht, "Ältern" (< alt) zu nehmen. Vermutlich, weil sie sonst
garantiert auf 100%ige Ablehnung gestoßen wären. |
Flußsand |
Flusssand /
Fluss-Sand |
Wenn es offiziell
zu dem unleserlichen "Flusssand" schon die Alternative "Fluss-Sand"
gibt, dann kann man sich ausmalen, wohin die Reise geht: "Schiff-Fahrt",
"Sauerstoff-Flasche", "Schnee-Eule", "Tee-Ernte" usw. |
Bruch der schriftlichen Tradierung
Grundsätzlich spricht gegen die Reform, daß sie die
schriftliche Tradierung stört. Etliche Bücher müssen neu gedruckt werden, die meisten
werden es aber schon aus Kostengründen nicht. Damit sind auch Schüler gezwungen, die
alte Rechtschreibung als eine gültige Varietät des Schriftdeutschen zu lernen. Den
Zugang zu älteren Texten, die zahlreich in Bibliotheken und auch im Buchhandel
erhältlich sind, kann man durch die Radikalität einer Reform beliebig erschweren, bis
hin zur Notwendigkeit, alte Bücher nur noch nach einem entsprechenden Studium lesen zu
können (Beispiel: die "Vereinfachung" vieler Schriftzeichen in China 1948 oder
die gänzliche Abschaffung chinesischer Schriftzeichen in Nordkorea, während sie in
Südkorea noch neben der eigenen Schrift verwendet werden, die wie indische, äthiopische
und die für Inuktitut, Dene, und eine Reihe von Algonkinsprachen wie Blackfoot und Cree
verwendeten Schriften dem Akshara-Prinzip folgt, also im wesentlichen Silbenzeichen aus
alphabetähnlichen Einzelkomponenten zusammensetzt).
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